Europe – It's Our History

Veranstalter
Stadtverwaltung Wrocław
Ort
Wrocław (Breslau)
Land
Poland
Vom - Bis
01.05.2009 - 05.08.2009

Publikation(en)

Stadtverwaltung Wrocław (Hrsg.): Europa – to nasza historia/ Europe – It's Our History. . Wrocław 2009 : Selbstverlag des Herausgebers
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mateusz Hartwich, Mittelalterliche Geschichte Mitteleuropas, Europa-Universität Viadrina

Gerade Wissenschaftler neigen dazu, gewisse Ausstellungsprojekte von vornherein unter (politischen) Generalverdacht zu stellen. Dies betrifft auch das Europa-Museum in Brüssel, das nach langjährigen Vorbereitungen im Oktober 2007 seine Dauerausstellung "Europe – It's Our History" der Öffentlichkeit vorstellte. Nach eigenen Angaben will das Museum "die 'Gedenkstätte' sein, die Europa braucht" und eine "reflektierte Darstellung der Geschichte der Union" bieten.1 So sehr eine konstruktive historische Narration zu begrüßen ist, so problematisch erscheint eine politisch, positiv determinierte Darstellung der europäischen Nachkriegsentwicklung. Um das Urteil gleich vorweg zu nehmen: Alle Zweifel kann die Exposition nicht aus dem Weg räumen, aber sie stellt insgesamt einen sehr gelungenen Versuch dar, die europäische Einigung der Öffentlichkeit nahe zu bringen.

Die Ausstellung wurde zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge fertig gestellt, und im Jahr 20 nach dem Umbruch in Ostmitteleuropa tourt sie durch diesen Teil des Kontinents. Die erste Station außerhalb Brüssels ist Wrocław (Breslau), deren Stadtväter sich seit 1989 intensiv darum bemühen, ihre Geschichte explizit zu europäisieren.2 Mit Verweis auf den Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965, dessen Initiator der damalige Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek war, legt Oberbürgermeister Rafał Dutkiewicz in seinem Grußwort im Katalog dar: "Most of all, thoughts about Europe must be tied to concepts – not to political, but moral – born in Wrocław" (S. 3). Ähnlich klingen die Eröffnungsworte des Kulturministers, der Museumspräsidenten und der Direktoren.

Die Ausstellung beginnt mit zwei, wie es heißt, "symbolischen Werken": Gunter Demnigs "Friedensrolle", auf der alle Friedensverträge seit 260 v.Chr. aufgelistet sind und Dominique Blains "Missa" – Soldatenschuhe als Zeichen für Militär und Totalitarismus. Es folgt die Vorstellung von 27 Personen, deren persönliche Geschichten einen individuellen „persönlichen“ Zugang zur Entwicklung seit 1945 bieten sollen. "Denn die Geschichte Europas ist nicht nur die Geschichte seiner Institutionen (...)", heißt es. "Es ist auch die Geschichte der Europäerinnen und Europäer, die Europa im Alltag bauen (…)." Ein interessanter visueller Kunstgriff an dieser Stelle besteht darin, das Gruppenbild als statische Videoaufzeichnung darzustellen, mit deren Hilfe das Seufzen und Räuspern der sitzenden und stehenden Frauen und Männer deutlich zu vernehmen ist. Die Lebensgeschichten werden an verschiedenen Medienstationen in der Ausstellung verstreut vorgeführt, wobei die dargestellten Personen nicht bloß "Menschen wie du und ich" sind, sondern auch Geschäftsleute, EU-Mitarbeiter oder Wissenschaftler.

Anschließend beginnt die historische Erzählung mit "Europa im Jahr Null", dem zerstörten Kontinent 1945. Gezeigt werden neben künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Ereignis – neben zeitgenössischen Skulpturen von Alina Szapocznikow oder Ossip Zadkine – auch verschiedene Alltagsgegenstände aus der Zeit, inklusive des fast schon berühmten Kleids aus Alliierten-Flaggen. Unter der Überschrift "Europäische Revolution" werden anschließend die Gründungsväter der EG, mit ihren US-amerikanischen Verbündeten George Marshall und Harry S. Truman, detailliert vorgestellt. Die, durch das Thema vorgegebene, Westeuropa-Zentriertheit wird dadurch relativiert, dass Stalin als Bedrohung und somit Bedingung für die innere Geschlossenheit des Westens eingeführt wird. Da für die Breslauer Ausstellung der polnische Aspekt wesentlich erweitert wurde, folgt eine detaillierte Darstellung der tragischen Entwicklung Polens zwischen 1944 und 1956, inklusive des Hitler-Stalin-Pakts und Katyń als Vorgeschichte.

Mit der Darstellung des "geteilten Europa" wird die Geschichte des Kontinents zwischen 1950 und 1989 erzählt, wobei Ost und West säuberlich getrennt werden. Recht ansprechend wird der Alltag im westlichen Teil anhand von Wohnungsausstattungen der 1950er- bis 1980er-Jahre präsentiert, und die Hausherren des Europa-Museums mit einem gesonderten Saal zur Weltausstellung 1958 in Brüssel gewürdigt. Als begrüßenswert können die Abteilungen zu den Diktaturen im Westen (Spanien, Portugal, Griechenland) und deren Fall, sowie zur Dekolonisierung in Afrika und Asien bezeichnet werden. Damit wird die (EU-)europäische Nabelschau um wichtige Bezüge erweitert. Etwas weniger bunt als das westeuropäische Pendant fällt die Darstellung des Alltagslebens im sowjetisch dominierten Europa aus. Allerdings werden dafür die Erhebungen im so genannten Ostblock 1953, 1956, 1968 und 1980 ausführlich thematisiert. Äußerlich unscheinbar, aber sehr aussagekräftig ist die originale Holztafel, auf der die streikenden Werftarbeiter in Gdańsk (Danzig) im August 1980 ihre berühmten 21 Postulate aufgemalt haben. Auch Perestrojka, die Umbrüche in Mitteleuropa und der Fall der Mauer werden angesprochen. Beispielsweise wird der Fall des Sowjetimperiums recht plakativ in Form einer umgestürzten Leninstatue dargestellt.

Anschließend wird der europäische Integrationsprozess nach 1989 mit der Osterweiterung 2004, dem Schengenabkommen und der gescheiterten Verfassung thematisiert. Abschließend werden den Besuchern die Herausforderungen der Zukunft präsentiert: Europa in der globalisierten Welt, Umweltfragen, Sicherheit und Freiheit, Einwanderung und Bildung. Am Ende der Ausstellung können die Besucher in einer Art Wahlkabine entscheiden, welche Anteile eines virtuellen Budgets für welche Zwecke aufgewendet werden. Gerade dieser Abschnitt verdeutlicht, das Ziel der Ausstellung. „Du bist Europa“ und „Europa ist die Zukunft“. Multimediale Präsentationen zur Europäischen Union und ihren Institutionen runden das Thema ab.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Europa – es ist unsere Geschichte" keine historische Ausstellung ist, sondern eine, in der die Geschichte den Hintergrund der europäischen Integration bildet. Visualisiert wird diese Herangehensweise im letzten Saal der Ausstellung, in dem unter dem Titel "Wir teilen eine gemeinsame Vergangenheit" Bilder bedeutender historischer Personen, wichtiger Bauten usw. in einer Art Videoclip projiziert werden. Auch wenn der wissenschaftliche Leiter des Europa-Museums, Krzysztof Pomian, betont, es handle sich dabei nicht um ein EU-Museum, macht er die Verbindung zwischen einer möglichen politischen Union und ihrer Verankerung im Bewusstsein der Menschen durch solche Installationen deutlich. Dass in der Ausstellung keine Staaten außerhalb der 27 Mitglieder vorkommen, zeugt zudem den Bezug auf die Europäische Union in der heutigen Gestalt überdeutlich. Gleichzeitig ist aber die Ausstellung, wie die Gemeinschaft selbst, erweiterbar – nach dem Ausbau des polnischen Akzents werden weitere Gastgeberländer ihren Beitrag dazu leisten. Trotz des EU-Schwerpunkts ist die Einbeziehung der Alltagsgeschichte und der persönlichen Ebene durchweg überzeugend. Allerdings fragt man sich beispielsweise bei der Darstellung des Mauerflüchtlings Klaus Stürmer, der betont, dass er "sehr, sehr froh [sei], dass wir die Europäische Union haben", wie ernst diese EU-Werbung gemeint ist.

Gewinnbringend für die erste Station der Wanderausstellung ist sicher, dass sie in Breslau in der "Jahrhunderthalle" Max Bergs gezeigt wird. Das seit 2006 als "Weltkulturerbe" fungierende Gebäude hat seit seiner Erbauung 1913 viele politische Uminterpretationen erfahren.3 Die Exposition an diesem Ort kann somit als Versuch gelesen werden, mit Hilfe des europäischen Narrativs die alten Kontroversen zu überwinden. Es bleibt der Ausstellung zu wünschen, dass dieser spannende, auf vielen Ebenen interaktive Charakter weiterhin erhalten bleibt. Leider steht der Palast der Republik dafür nicht mehr zur Verfügung, aber es finden sich auch sonst noch einige Orte in Deutschland mit einer gebrochenen Geschichte, die mit Hilfe von "Europe – It's Our History" eine neue Erzählung entwickeln können.

Anmerkungen:
1 Siehe den Internetauftritt des Europa-Museums <http://www.expo-europe.be/index.php>, der allerdings nicht auf die Schau in Wrocław hinweist, und auch ansonsten Aktualisierungen vermissen lässt. Die polnische Webseite der Ausstellung wird vom Medienpartner, der wichtigsten Tageszeitung des Landes "Gazeta Wyborcza", unter <http://wyborcza.pl/0,97598.html> betrieben.
2 Vgl. dazu Norman Davies / Roger Moorhouse, Die Blume Europas. Breslau – Wrocław – Vratislavia. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt, München 2002. Vgl. auch die Rezension der neuen Dauerausstellung zur Breslauer Stadtgeschichte: Mateusz Hartwich: Ausstellungs-Rezension zu: 1000 lat Wrocławia - 1000 Jahre Breslau 15.04.2009, Wrocław (Breslau), Polen, in: H-Soz-u-Kult, 20.06.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=116&type=rezausstellungenngen>.
3 Vgl. dazu Maximilian Eiden / Tobias Weger, Von der "Jahrhunderthalle" zur "Hala Ludowa", in: Marek Czapliński / Hans-Joachim Hahn / Tobias Weger (Hrsg.), Schlesische Erinnerungsorte. Gedächtnis und Identität einer mitteleuropäischen Region, Görlitz 2005, S. 221-248.

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